Die winterliche Kälte ist entscheidend für das Wachstum und die Vitalität der Bäume (im Bild die Tössegg (ZH/SH)).Fotos: Pixabay

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Die kalte Jahreszeit hilft Bäumen beim Wachsen und Gedeihen

In hiesigen Breitengraden treten Wald- und Obstbäume im Herbst in den «Winterschlaf», um der Kälte zu entkommen. Paradoxerweise brauchen sie aber genau diese Kälte, um im Frühling wieder aus der Ruhephase aufzuwachen. Zu milde Winter können Folgen haben.

Sabine Vontobel* | In gemässigten Klimazonen wie der Schweiz benötigen Bäume und Sträucher kalte Winterperioden, um nach der Winterruhe, auch Dormanz genannt, im Frühling wieder zu erwachen. Doch mit der globalen Erwärmung und den immer milderen Wintern unterliegt dieser komplexe Prozess Veränderungen, die kurz- und langfristige Folgen für einheimische Wälder haben können. Denn, erst wenn die Knospen der Bäume eine Zeit lang kalten Temperaturen ausgesetzt waren, beginnen sie, aus ihrer Ruhephase zu erwachen und für wärmere Temperaturen empfänglich zu werden. Wissenschaftlichen Studien zufolge besteht eine nahezu exponentielle Beziehung zwischen der Kälteexposition und der Wärmemenge, die benötigt wird, um die Knospung auszulösen. Darüber hinaus können milde Winter das Frostrisiko erhöhen und die Auswirkungen extremer Dürreperioden verschärfen.

Die Bäume haben sich also so entwickelt, dass sie im Winter eine Art «Winterruhe» halten, um sich vor Frostschäden zu schützen. Die winterliche Kälte dient als «Wecksignal», das die Bäume darauf vorbereitet, ihre Knospen zu öffnen und ihre Blätter zu entfalten, wenn die Temperaturen steigen. Fehlt ihnen diese Kälte, reagieren sie mit einer verzögerten oder sogar unvollständigen Entwicklung, was ihrer Vitalität schadet. Dies kann besonders problematisch für Arten wie die Buche und den Ahorn sein, die mehr Kälte benötigen. «Diese Baumarten brauchen drei Monate lang kalte Temperaturen – unter zehn Grad Celsius –, um ihre Dormanz zu durchbrechen. Wenn die Kältebedürfnisse nicht vollständig erfüllt werden, benötigen sie viel mehr Wärme als üblich, um ihre Knospen zu öffnen. Weisseichen oder Birken hingegen brauchen weniger als sechs Wochen Kälte, um ihre Dormanz vollständig aufzuheben», erklärt Yann Vitasse, Ökologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

Ungleichgewicht im Wald 

Werden die Winter nun immer milder, wird dies langfristig zu einer früheren Entwicklung der Vegetation führen. «Einige Baumarten wie die Traubeneiche könnten davon profitieren und ihre Wachstums­periode verlängern. Aber die Arten, die viel Kälte brauchen und auch empfindlich auf die Tageslänge reagieren, wie eben die Buche, werden weniger gut in der Lage sein, dieses neue Zeitfenster zu nutzen. Sie werden nach und nach schlechter an ihre Umwelt angepasst sein.» Die Entwicklung wird verzögert, was einen direkten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit dieser Arten hat. Dies kann zu einem Ungleichgewicht im Wald führen, da sich die Arten, die mit milderen Wintern besser zurechtkommen, im Vorteil befinden.

Ausserdem besteht die Gefahr, dass warme Winter die Resilienz der Bäume gegenüber extremen Wetterereignissen wie Dürre oder Spätfrost schwächen. Ein Beispiel hierfür sind die Sommer 2018 und 2022, in denen Trockenheit und Hitze die Buche schwer getroffen haben. Da diese Baumart bereits unter der Trockenheit leidet, könnte ein weiterer Kältemangel im Winter ihre Vitalität zusätzlich schwächen – nämlich vor allem dann, wenn sie ihr Wachstum erst beginnt, wenn andere Baum­arten bereits damit angefangen haben, das normalerweise im Frühjahr reichlich vorhandene Wasser aus dem Boden zu ziehen. Dies würde die Auswirkungen einer bevorstehenden Sommertrockenheit noch verstärken.

Besonders gefährlich ist der Spätfrost im Frühjahr. Wenn die ersten Blätter nach einem milden Winter austreiben und dann durch Frost beschädigt werden, muss der Baum auf seine Energiereserven (Zucker) zurückgreifen, um neue Blätter zu bilden. Dies führt zu einer deutlichen Verzögerung des Wachstums. «Die Entwicklung der Jahresringe zeigt oft, dass das Wachstum in diesen Jahren fast zum Stillstand kommt. Ein Spätfrost während der Blütezeit kann sogar die gesamte Fruchtproduktion zerstören, was besonders dramatische Folgen für Obstbäume hat», sagt Yann Vitasse.

Forschung liefert wichtige Erkenntnisse 

Die Ökologen der WSL, Yann Vitasse und Frederik Baumgarten, haben die Kältebedürfnisse verschiedener Baumarten untersucht. Mithilfe von Experimenten in Klimakammern konnten sie zeigen, dass der Temperaturbereich, der die Dormanz aufhebt, also die sogenannten «Chilling-Temperaturen», viel breiter ist als bisher angenommen. Temperaturen von –2 bis +10° Celsius beeinflussen den Prozess der Dormanz-Aufhebung, obwohl die Effizienz dieses Prozesses unter 5° Celsius stärker ausgeprägt ist.

Ein zu milder Winter betrifft jedoch nicht nur die Bäume selbst, sondern hat auch Auswirkungen auf schädliche Insekten. Die Phänologie der Insekten, welche wechselwarme Organismen sind, ist sehr empfindlich gegenüber der globalen Erwärmung. Es wurde beispielsweise gezeigt, dass der Buchdrucker (ein Käfer, der Fichten befällt) einen Lebenszyklus hat, der ihm ermöglicht, ein bis zwei Generationen pro Jahr zu produzieren. In besonders heissen Sommern kann der Buchdrucker jedoch zwei bis drei Generationen produ-
zieren, was den Druck auf die Bäume
gefährlich erhöht.

Auswirkungen auf das Ökosystem 

Die Veränderung des saisonalen Rhythmus aufgrund milderer Winter und früher einsetzender Frühlinge hat nicht bloss Auswirkungen auf die verschiedenen Baumarten, sondern auch auf die komplexen Wechselwirkungen des gesamten Waldökosystems. Ein Frühling, in welchem die Blätter und Blüten vorzeitig austreiben, kann ein Ungleichgewicht verursachen, bei dem Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge nicht mit den Blütezeiten der Bäume synchronisiert sind. Dies kann die Bestäubung von Obstbäumen und anderen Pflanzen gefährden und die Ernteerträge erheblich verringern.

Auch die Tiere, die von den Bäumen abhängig sind, wie Vögel und Säuger, sind betroffen. Viele Vogelarten ziehen im Frühling in die Wälder, um dort zu nisten und ihre Jungen mit Insekten und Samen zu füttern. Beginnt der Frühling jedoch früher, können sie den optimalen Zeitpunkt für den Nestbau verpassen, was sich negativ auf ihre Fortpflanzung auswirkt.

Anpassung ist möglich 

Trotz der Herausforderungen durch warme Winter und den Klimawandel haben einige Baumarten bereits heute Anpassungsstrategien entwickelt, um zu überleben. Einige Arten können zum Beispiel besser auf Trockenperioden im Folgejahr reagieren, indem sie im Herbst ein verlängertes Wurzelwachstum und kleinere, dickere Blätter entwickeln, die den Wasserverlust begrenzen. Andere Arten, wie die Eiche, profitieren von einem früheren Knospenaustrieb und einer verlängerten Wachstumsperiode, was ihnen in wärmeren Klimazonen einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

«Diese natürliche Anpassungsfähigkeit reicht jedoch wahrscheinlich nicht aus, um den schnellen klimatischen Veränderungen vollständig standzuhalten», erklärt Yann Vitasse. Die Forscher arbeiten daher an verschiedenen Methoden, um die Wälder widerstandsfähiger zu machen. Dazu gehört unter anderem das gezielte Pflanzen von Baumarten, die besser an die zukünftigen Bedingungen angepasst sind. Die Douglasie, eine Baumart aus Nordamerika, ist ein Beispiel dafür. Sie wird zunehmend in europäischen Wäldern angepflanzt, weil sie besser gegen Trockenheit und Hitze gewappnet ist. 

Über diese und viele weitere Themen lesen Sie in der neuen Ausgabe von «WALD und HOLZ».

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